close
Verein

Interviews

Bildzuschnitt_interview

Landwirte stehen Rede und Antwort


Rudolf Wiedmann

Interview mit Rudolf Wiedmann

Als Agrar-Biologe beschäftigen Sie sich schon seit mehr als 40 Jahren intensiv mit der Schweinehaltung. Welche Beweggründe hatten Sie, sich so ausführlich mit dem Thema zu beschäftigen?

Wir hatten daheim einen Bauernhof auf der Schwäbischen Alb. Durch einen schweren Unfall meines Vaters musste meine Mutter den Bauernhof allein managen. Dabei waren ihr meine 3 Geschwister und ich eine große Hilfe. Fleiß, Ausdauer und Bescheidenheit wurden uns von den Eltern vorgelebt. Alle Arbeiten rund um die Schweine lagen mir dabei besonders am Herzen. So habe ich schon als Kind unsere 10 bis 12 Mutterschweine tagtäglich betreut und versorgt. Mit den Hausaufgaben nach der Schule musste ich möglichst schnell fertig sein, weil auf dem Hof viel zu tun war.

Sie beschäftigen sich speziell mit dem Tierwohl und der Senkung der Investitions- und Betriebskosten. Steht das nicht im Widerspruch zueinander?

Es ist eine Herausforderung, im Spannungsfeld zwischen Tierwohl und Wirtschaftlichkeit die Balance zu finden. Dabei geht man am besten so vor, dass man das Schwein in das Zentrum aller Überlegungen stellt. Es ist sozusagen der Baumeister von tierfreundlichen Ställen. Dann findet man auch Lösungen, bei denen es dem Schwein einerseits gut geht, aber andererseits auch die Wirtschaftlichkeit einschließlich Arbeitswirtschaft und Funktionssicherheit der Schweinehaltung im grünen Bereich ist.

1997 erschien Ihr Buch „Schweinehaltung in Außenklima-Ställen“. Was ist das Besondere an dieser Haltungsform? Können Sie das kurz beschreiben?

In der Zeit vorher gab es im Wesentlichen nur die sogenannte „Warm-Ställe“ mit einer Reihe von Nachteilen wie stickiger Stallluft, hohen Energiekosten, Notfallrisiko bei Stromausfall, geringer Verbraucherakzeptanz usw. Ich fragte mich, wie man das ändern könnte. Bei diesen Überlegungen kam der Außenklima-Stall heraus. Solche Ställe sind nicht wärmegedämmt, weshalb im Stall ähnliche Temperaturen wie außen sind. Daher gibt es in Außenklimaställen einen wärmegedämmten Liegebereich in Form einer Art Kiste. Die Belüftung dieser Ställe erfolgt als „freie Lüftung“ ohne den Einsatz von Zu- oder Abluftventilatoren.

Was sind nach Ihrer Meinung die artgerechten Bedürfnisse der Schweine?

In erster Linie ist es wichtig, dass Schweine eine gute Luft haben. Schweine sind sehr gute Riecher, sie haben mehr Geruchszellen auf der Nase als Hunde. Deshalb ist es auch logisch, dass sie in einer Umgebungsluft gehalten werden, die der von Frischluft nahekommt. Zweitens ist es wichtig, dass sie genügend Platz haben, um den Mist vom Liegebereich deutlich zu trennen. Da Schweine nicht schwitzen können, benötigen sie unterschiedliche klimatische Bereiche, so dass sich jedes Schwein in dem gerade tierindividuell optimalen Temperaturbereich aufhalten kann. Aus all diesen Gründen sind für Schweine Ausläufe unverzichtbar.

Und das ist dann wahrscheinlich auch im Sommer wie im Winter entsprechend anzupassen?

Das ist die Herausforderung! Der Stall muss zugleich ein Sommer- und ein Winterstall sein, d. h. im Sommer ist der Stall durch Wandöffnungen weitgehend offen gestaltet und im Winter kann er so geschlossen werden, dass die Tiere die ihnen angenehme Temperatur vorfinden. Die Hauttemperatur beim Schwein entspricht der menschlichen Hauttemperatur. Damit sie es warm haben, muss der Liegebereich gedämmt ausgeführt sein. Aufwendiger ist es, im Sommer bei hohen Außentemperaturen für die nötige Abkühlung zu sorgen. Kühle Betonflächen oder Suhle mit einem flachen Wasserspiegel bieten dafür Abhilfe.

Halten Sie die Tiere in den Außenklima-Ställen für ausgeglichener?

Man kann davon ausgehen, dass Tiere besser konditoniert sind, wenn sie genügend Umweltreizen in ihrer Umgebung ausgesetzt sind. Das ist der Wechsel zwischen Tag und Nacht, das Angebot von kalten und warmen Bereichen, unterschiedlichen Böden und Beschäftigungsmöglichkeiten usw. Auf diese Weise konditionierte Schweine sind nicht so gestresst, wenn sie mit ungewohnten Situationen konfrontiert werden. Dies ist besonders der Fall bei der Ausstallung am Mastende. Die Schweine müssen über unbekannte Treibgänge laufen, über eine Rampe in den LKW gehen und sind im Schlachthof völlig unbekannten Situationen ausgesetzt. Eintönige Warmställe bieten den Tieren weniger Trainingsmöglichkeiten als Außenklima-Ställe.

Warum hat ein Großteil der Schweine noch Ringelschwänze? Ich dachte, diese werden sofort nach der Geburt kupiert? Was hat es damit auf sich?

Die Ringelschwänze werden immer noch europaweit kupiert, weil man zu lange die Schweine an die Ställe und nicht die Ställe an die Schweine angepasst hat. Der Ringelschwanz gehört zum Schwein und darf deshalb nicht kupiert werden, weil immer noch für Schweine unzulängliche Haltungs- und Fütterungsverfahren vorherrschen. Der Ringelschwanz ist integraler Teil des Schweines und muss deshalb dranbleiben! Er zeigt als wichtiges Signal außerdem dem Tierhalter an, in welcher Verfassung seine Tiere sind. Wenn die Schwänze nach unten hängen, wedeln oder zwischen den Hinterbeinen eingeklemmt sind, weiß der Tierhalter: Hier ist irgendetwas nicht in Ordnung. Es kann am Futter, am Stallklima, an herannahenden Krankheiten usw. liegen. Für den Tierhalter ist deshalb der Ringelschwanz ein unverzichtbares Instrument, das wichtige Signale für das Management sendet!

Aber funktioniert es denn, dass die Schweine sich nicht gegenseitig in den Schwanz beißen?

Die Haltungsumgebung, also der Stall, ist nur ein Faktor, der sich auf das Verhalten der Schweine, insbesondere das Schwanzbeißen auswirkt. Für den Erhalt des Ringelschwanzes spielt besonders das Futter in der Zusammensetzung und in der Verabreichung eine bedeutende Rolle. Auf das Beschäftigungsangebot mit organischen Materialien darf aber auch nicht verzichtet werden. Letztlich beruht Schwanzbeißen auf einer Überforderung des Tieres, weshalb Stress jeglicher Art so gering wie möglich gehalten werden muss. Stress kann auch durch eine nicht adäquate Futterzusammensetzung hervorgerufen werden. Schweine sind von Natur aus Allesfresser, aber wir haben das Schwein zum Vegetarier gemacht.

Entsprechen die Anforderungen der Offenstallhaltung auch schon den Bio-Anforderungen? Bewegt man sich da in die gleiche Richtung?

Ich gebe Stallbauern folgenden Rat: Baut Ställe, mit denen man auf allen drei Schienen wirtschaften kann, also konventionell, in der Labelhaltung oder biologisch. Beim Systemwechsel braucht man so nur anderes Futter und eventuell andere Schweine. Der Stall als „Hardware“ bleibt immer derselbe. Beispiel: Eine Bucht im Pigport bietet bei konventioneller Belegung 20 Tieren Platz , 16 Tieren bei Labelhaltung und 11 Tieren bei ökologischer Haltung. Der Betrieb bleibt so unternehmerisch flexibel.

Und was hat der Verbraucher davon, wenn er Fleisch von Tieren aus Offenstallhaltung kauft?

Der Verbraucher bekommt beim Kauf von Fleisch und Wurstwaren das gute Gefühl, dass die Schweine ein ordentliches Leben geführt haben. Dabei ist die Offenstallhaltung nur ein Baustein für das Vertrauen in die so gehaltenen Schweine. Hinzu kommt, dass in aller Regel solche mit höheren Kosten „erzeugten“ Schweine aus der Region und aus bäuerlichen Betrieben stammen. Somit unterstützt der geneigte Verbraucher mit seinem Kauf die heimischen Landwirte, die wiederum das Rückgrat für unsere Kulturlandschaft sind.

Und wie sehen Sie die Entwicklung der Schweinehaltung in den nächsten 10 Jahren in Deutschland?

Die Schweinehaltung wird sich auf drei Schienen verteilen. Der größte Teil der Schweine wird weiterhin maßgeblich mit möglichst hoher Arbeitseffizienz und niedrigen Gestehungskosten gehalten werden. Solche Betriebe müssen sich mit der Kostenführerschaft, d. h. mit Weltmarktpreisen auseinandersetzen, was in Deutschland sehr schwer ist. Die Bio-Schweinehaltung wird sich voraussichtlich von einem derzeitigen Anteil in Höhe von 0,5 % auf 1–2 % erhöhen. Dazwischen ist Platz für 10 – 20 % der Schweine im Premium-Segment. Für so erzeugte Schweine sind Offenställe in Form von Pigports prädestiniert.

Das wäre sehr zu begrüßen und das wollen wir gemeinsam erreichen.

Vielen Dank für das Interview, Herr Wiedmann.

PF/BM, Osnabrück, 25. Juli 2016